Mittwoch, 4. Februar 2015

Soziale Kompetenz - Wann sollte ein Kind die Familie verlassen?

In unserer Gesellschaft kann es ja nicht schnell genug gehen, dass Kinder den Umgang mit anderen Kindern lernen. Den Umgang mit Gleichaltrigen.
Sozialisation heißt der Überbegriff.
Dass man von Gleichaltrigen (also Menschen, die ungefähr so viel können wie man selbst) viel lernt ist erstmal eine witzige Idee.

Sozialisation ist ja 1.) Umgang mit Autoritäten 2.) Freunden.
Hier haben wir ein drittes: Nämlich den Umgang mit Machtgleichen - Peers. Menschen, die sich grob nicht von uns unterscheiden. Die so gut es geht unsere Größe haben, unsere geistige Entwicklung, unseren sozialen Hintergrund, unsere Leistungsfähigkeit, etc.

In der Biologie gibt es ein Phänomen, das man Hackordnung nennt. Es kommt aus der Hühnerzucht: Hühner schlafen gerne so weit oben wie möglich. Ist so. Hab ich auf Wikipedia nachgelesen.

Hängt man nun die Schlafgelegenheiten im Hühnerstall in verschiedener Höhe auf, dann fangen die Hühner an auf sich herumzuhacken, und um die obersten Plätze zu streiten. Die Verlierer müssen unten schlafen.
Deswegen macht man eine Stange in Hühnerställe und es herrscht Frieden.

Ähnlich ist das bei Menschen, sobald sie in Konkurrenz-Situationen kommen (auch künstliche, Anerkennung, Noten, Lob) fangen sie an unter sich eine Hackordnung auszumachen.
Das läuft dann in der Schulwerbung unter: Kinder wollen sich vergleichen.

Soziale Kompetenz wird dabei nicht aufgebaut. Nicht der kooperative, friedliche, win-win Umgang - wie wir ihn eigentlich möchten.

Es besteht also kein Grund die Kinder möglichst früh aus der Familie zu schubsen und ihnen den Umgang mit Gleichaltrigen zu ermöglichen. In der Familie können sie friedlich und in Wertschätzung ihre sozialen Kompetenzen aufbauen.
Sie können die Grundbegriffe lernen. Sie können lernen, wie man kooperativ ist. Was für einen Nutzen es hat, auch die Sicht und die Gefühle des anderen verstehen zu wollen. Was es bedeutet die anderen auszunutzen und ihnen die Energie auszusaugen, bis diese ausflippen.

Innerhalb der Familie vergibt man sich das. Man erklärt sich Sachen. Wo lief es schief? Wo habe ich nicht nach win-win geschaut, sondern bin egoistisch gewesen. Habe nicht gesehen, dass der anderen auch ein Mensch ist mit Gefühlen, die ihm wichtig sind - und die ich getreten habe.

Die Idee, dass man diese Kompetenzen in einer Gruppe lernt in der alle um die Gunst und Aufmerksamkeit eines "Chefs" konkurrieren - und dieser Chef liebt einen nicht so und so bedingungslos (wie das bei Eltern heutzutage normalerweise der Fall ist). Das ist eine sehr kaputte Idee. Eine Idee, die nicht funktionieren kann.

Wir nehmen aber diese kaputte Idee und erheben sie zur Maxime nach der alles sich richten soll.
Ich bin kein Bindungsexperte und mir geht es auch nicht hier um Bindung, sondern mir geht es alleine um die Fähigkeit der Sozialkompetenz.

Werde ich also mit meinen niedrigen Sozialkompetenzen in eine Konkurrenz-Gruppe gestoßen, so ist das als ob ich mit einem unfertigen Schiff den Hafen verlassen soll. Ich werde Schiffbruch erleiden. Konnte ich genug soziale Kompetenz aufbauen, so werde ich erfolgreich die Meere befahren.

Deswegen plädiere ich dafür erst einmal diese Schiffe fertig zu bauen. Sie sich langsam in niedrigen Wassern prüfen zu lassen. Also in kleinen Gelegenheiten, von erst kurzer Dauer mit möglichst verschiedenaltrigen. Kein 2-jähriger wird mit einem 7 jährigen konkurrieren wollen. Und ein 7-jähriger wird sich auch ziemlich schnell blöd vorkommen, wenn er es versucht. Genauso wird ein 6-jähriger nicht mit einem 10-jährigen konkurrieren wollen.

In Gruppen in denen verschiedene Fähigkeiten zählen. In der einer der Navigator ist (ich bleibe beim Schiffs-Beispiel), einer der Koch, einer der Schiffsarzt, etc. Wo diese Fähigkeiten sich ergänzen können und Sinn haben. Nicht genau das Gegenteil: sinnlose Fähigkeiten alle gleich lernen müssen und dann darin konkurrieren.

Wir sollten die Kinder in dem Moment hinaus lassen, wo ihr Schiff fertig ist. Und sie nicht zwingen (oder motivieren/strafen) Segel zu setzen. Wir sollten ihnen helfen das Schiff zu bauen. Dadurch, dass wir an unserem eigenen Schiff weiterbauen und ihnen erklären, warum wir denken, dass dies oder jenes so gut ist und anderes diesen oder jenen anderen Effekt hätte. Ein Segel, das wir unter Deck anbringen ist einfach nicht so zuträglich als eines, das wir an einem Mast befestigen.

Wir sollten mit Ihnen Orte erkunden an denen wir Gelegenheit bekommen unsere Konstruktion zu prüfen und zu sehen, ob die Sozialkompetenzen (Konstruktionen) schon Sinn machen.

Und dann, wenn alles schon fertig ist und wir daran gehen in die Reling (Außengelände) Löcher zu bohren, damit das Wasser abfließen kann, wenn es regnet oder stürmt... erst bei diesem Feinschliff sollten wir die extremste aller Situationen ausprobieren wagen: Die Konkurrenz unter Peers unter längerer Zeit - wenn wir es denn für nötig halten.

Ich habe das gesehen, als der Älteste (jetzt 10) dieses Jahr in München mit anderen Kindern Freundschaften geschlossen hat. Er hatte überhaupt keine Konkurrenz in sich, er wollte niemanden in die Pfanne hauen, er wollte nicht besser sein, er wollte kein Lob, er wollte kein Chef sein, er wollte sich nicht in Nichts hervorheben. Er wollte einfach nur mit ihnen spielen und Abenteuer erleben. Zusammen den Berg herunterrutschen. Und die Freunde kamen so ohne Anstrengung und sie spielten so lange Stunden, als ob sie schon immer da gewesen wären.
Und das einzige was mir zu tun blieb war: Am Ufer zu stehen und mit meinem Taschentuch dem Schiff das in vollem Wind auf's Meer hinausfuhr zu winken. Mit Tränen der Freude in den Augen. Nicht mit Tränen des Abschieds. Den ich wußte: dieses Schiff war stark genug um auch wieder in den Hafen zurückzufinden und nicht zu verneinen, dass es so etwas wie einen Hafen überhaupt nötig habe.

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