Mittwoch, 16. November 2016

Schule und Schulfrei ... ein Tag... zwei Erfahrungen

Es ist jetzt schon wieder ein paar Wochen her, dass ich live ein Kind wegen Schule wirklich leiden habe sehen.
Heute waren Nami bei ihrer Freundin. Ich sagte den beiden, sie sollen aber nach einer halben Stunde wieder kommen. Sie kamen aber nicht ... über Stunden... irgendwann ging ich dann zu ihnen hinüber.
Und siehe da, sie waren mit Deutsch-Hausaufgaben beschäftigt.
Meine Tochter hatte am Computer ihren Aufsatz geschrieben und er war so, wie sie die Aufgabe verstanden hatte. Sie hatte eine Geschichte geschrieben, am PC, mit Spannungsbogen.

Und dann hat ihre Freundin auch eine Geschichte geschrieben. Auch mit Spannungsbogen, aber er erfüllte die Anforderungen der Hausaufgabe nicht. Und dann musste sie diese Geschichte wieder und wieder schreiben. Nach dem 3.ten Mal fing sie an zu weinen und sich wirklich am Boden in Embryonalstellung zu legen. Und zusammen ziehen und wieder auseinander.

Und dann ging sie in ihr Zimmer und schrieb die Geschichte noch einmal. Aber wieder genügte es nicht den Anforderungen der Mutter. Die Mutter hatte aber selbst nicht verstanden worum es ging - die war ja auch nur in der Schule gewesen und dachte es muss einfach so erfüllt werden, wie es da steht. Nicht, dass es darum ging einen Spannungsbogen zu bauen und dass es überhaupt darum geht, dem Kind nicht die Freude komplett am Schreiben zu verderben.

Aber unerbittlich wollte sie, dass es so erfüllt wird, wie es eben dort gefordert wird. Es gibt diesen berühmten Spruch: Wo Bücher brennen, da brennen auch bald Menschen. Ich denke der gilt nicht für Schulbücher. Ich möchte das Feuer sehen, dass dieses Leid verzehrt, dass sie mit sich bringen. Oder ist es die Schule selbst? Irgendetwas fordert diesen blinden und unverständigen und mitleidslosen Wettlauf um die Plätze in der Gesellschaft, die nur mit Gehorsam zu verdienen sind und die immer weniger werden.

Wenn ich Menschen die Schule loslassen sehe, dann sehe ich auch oft, dass sie wieder plötzlich anfangen ihre Kinder zu sehen. Die Menschlichkeit scheint zurück zu kommen. Nein, sie war immer da. Aber unter der Panik seine Pflicht nicht zu erfüllen ist sie nur verschüttet gegangen. Wie kann man sich diesem System entziehen? Wie kann man gut bleiben... im Schlechten? Ich glaube es geht nicht. Die Schule korrumpiert. Und das ist schon das Ende der Geschichte. Es gibt kein Wenn und kein Aber... keine freie Schule und keine Ausnahme die dem Kind gut tut. Es ist ein Spiel, das nach bestimmten Regeln funktioniert. So wie Risiko. Du kannst den anderen direkt besiegen, Du kannst andere gegeneinander aufhetzen, aber am Ende kannst Du nicht einfach Deine Armee in den Ozean verlegen und Utopia eröffnen und Dich zum Pazifismus erklären. Allein dadurch, dass alle anderen spielen wirst Du gezwungen auch zu spielen. Alles andere ist Illusion.

Die Mutter bat uns nach weiteren zwei Iterationsrunden zu gehen, denn jetzt wurde es ernst. Ich konnte es gar nicht glauben. Ich hatte einfach kein Kind ... und keine Mutter / Vater mehr seit langen in solchen Qualen gesehen und der Ernst sollte jetzt erst beginnen. Also es geht hier nicht um körperliche Gewalt... das ist klar... ich kenne die Familie... aber es geht um die Erzwingung des Gehorsams und des Willensbrechens, damit man später funktioniert. Deswegen mag ich aber auch so gerne russische Familie, die sabbeln nicht von Konsequenzen wenn sie Strafe meinen und schwadronieren nicht von Motivieren wenn sie Unterordnen meinen. Sie nennen es noch so wie es ist.

Wir gingen dann... sehr bedrückt. Meine Tochter meinte, das wäre immer so mit den Hausaufgaben und das ist es was die Schule macht. Ich fragte sie, was sie denn meinte mit: Das macht die Schule. --- "Sie tötet die Fantasie" - ja und genau darum ging es. Der Text musste so geschrieben werden, wie es gefordert war. Der Rahmen war weit genug, dass man sagen konnte: Hier ist Fantasie gefragt. Aber er war so eng, dass die Fantasie schon alles vorgesetzt bekam, was sie brauchte um das Bild und die Geschichte fertig zu haben. Pure Suggestion. Ein langsames Unterwandern von allem, was einen menschlich macht. Unmerkbar. Wie ein Tarnkappenbomber - perfekt geformt über die Zeit.

Am Abend las ich dann Chopper noch aus einem Wissenschaftsbuch vor - während er für die Familie kochte. Es stellte sehr plastisch dar, wie das Experiment die Theorie ablöste. Wie über Generationen falsch geglaubtes Wissen zum Dogma werden kann und wie dieses Dogma durch einfache Experimente zum Wackeln gebracht werden konnte. Und wir unterhielten uns viel darüber.

Beim Essen hatten wir dann ein noch spannenderes Gespräch. Auf die Frage, wie mein erster Computer aussah, habe ich erzählt, dass es damals eigentlich nur eine Tastatur war. Mit den Fähigkeiten eines programmierbaren Taschenrechners. Dass es kein Internet gab, was alle wussten, aber auch keine CDs, USB-Sticks, Memory-Cards, sogar Floppys waren zu teuer für mich und man hatte Hörkassetten auf die man Programme spielte und die piepsten wenn man sie in ein normale Stereoanlage steckte. Aber nicht mal so etwas hatte ich und so musste ich alles, was ich spielen wollte selber programmieren. Und das musste ich auch erst mal lernen.
Aber auf diesen Computern wurde der Mondflug berechnet und die Amis knackten darauf die Codes der Deutschen (typisch Amis, immer am Krieg führen).
Und dann kamen wir auf Alan Turing, der diese Codes knackte. Und dann kamen wir zur Turing Maschine, mit der Turing bewies, dass jedes mathematische Problem an einem unendlichen Band mit 0llern und 1sern ausgerechnet wurde. Einfach in dem man hin und her läuft und diese 0er zu 1sern setzt und die 1ser auf 0 löscht.
Und nun erklärte ich den Kindern, wie sie eine Subtraktion (Minus) durch eine Addition programmieren können. Nami fragte dann, wieso das Band addieren konnte. Das Band kann aber erst mal nichts - das müssten sie schon selbst programmieren. Und Nami und Chopper suchten dann einen Weg wie sie selbst eine Addition programmieren könnten - und fanden diesen Weg recht einfach (was mich natürlich sehr gefreut und unglaublich stolz auf ihre Bildung gemacht hat).

Dann haben wir nach dem Essen noch eine Dokumentation - mal wieder über die Geschichte des Lebens - angesehen. Auch hier hat sich einiges bei den Kindern getan. Früher haben sie nach 20 Minuten immer pünktlich aufgehört, aber mittlerweile lieben sie es schon selber und verstehen unglaublich viel. Sie wollen dann immer länger kucken - aber Sanji (jetzt noch 7 Jahre alt) will dann spätestens nach 30 Minuten aufhören.
Wenn sie eine Doku durch haben, dann suchen sie schon selbständig die nächste aus und es gibt ein kurzes Brainstorming was als nächstes kommen soll und schon geht es weiter. Es ist eine Freude da zuzusehen.

Nami (wir erinnern uns, mein Mädchen, das noch vor 2 Jahren mit Dyslexie kämpfte) liest mittlerweile Bücher weit über ihrem Alter. Als letztes hat sie den Jugendroman: Die schwarzen Brüder (von Lisa Tetzner) gelesen. Und nun liest sie "Wer die Nachtigall stört" ein unglaublich tiefgehender Roman über wahren Mut. Und dass Menschen manchmal auch dann kämpfen müssen, wenn sie schon lange vor Beginn des Kampfes verloren haben. Und das liebe Menschen aus allen verschiedenen Gründen grausame Sachen tun müssen (so wie tollwütige Hunde erschießen). Über Aufrichtigkeit und die Fähigkeit auch schlimmste Beleidigungen zu verstehen und auszuhalten. Und interessanterweise spielt er genau zwischen zwei Generationen, von denen die Eltern noch ohne Schule groß wurden und die Kinder dauernd in die Schule müssen.
Ich lese dann auch immer vor - und sie kann gar nicht genug kriegen von den Geschichten. Das sind diese langen Abende, die unverantwortlich spät enden. Die aber ein einziges gemütliches und kuscheliges Zusammenwachsen und miteinander Wachsen sind.

Und dann sehe ich wieder ihre beste Freundin. Sie ist wirklich das fröhlichste Mädchen, das ich kenne, aber sie hat diese absolute Ablehnung gegen alles was Lesen ist. Gegen jedes Buch. Und anstatt, dass sie einfach mal spielen darf wird sie durch das System gepresst. Ich bin jeden Tag dankbar, dass mich vor 10 Jahren die Neubronners durch eine schräge Wendung des Schicksals angerufen haben und sie einfach ohne Schule lebten. Ohne sie hätte ich es von selbst nie geschafft an diesem Dogma zu rütteln
.
Deswegen: Nützt jede Chance aufzuklären. Auch wenn Ihr Euch lächerlich macht, oder Spott kassiert, oder Unverständnis oder das in unserer Gesellschaft so stark gefürchtete Naserümpfen. Manchmal treffen Eure Worte und Euer Vorleben auf einen Menschen, der nur darauf gewartet hat. Der innerlich seine Kopf an diesem goldenen Schulpflicht-Kalb kaputt geschlagen hat. Für ihn werden sich die innerlichen Fesseln lösen und seine Kinder werden nicht leiden müssen. Und damit auch eine Chance auf Bildung haben. Es ist wie ein Samen, den man über die Welt streut. Auf Beton wird er nicht aufgehen. Aber er wird auch manchmal auf Gras fallen und manchmal sogar aufgehen.