Wir haben mittlerweile ca. 150.000 Anschläge gelesen und Nami:
- vertauscht immer noch Buchstaben e/a ---- b/p --- w/v/r -- k/t/h
- fügt Buchstaben hinzu: total -> stotal ; Tasche -> STasche
- liest von innen nach außen: Bussi -> Ussib, Kuss -> Ussk
- erkennt wiederholende Wörter nicht: Er fürchtet, fürchtet sich -> Er fürchtet, fü....???
- triviale Wörter werden gar nicht erkannt: in -> ????
- verirrt sich in Wörtern: herumjagen -> herumgeumherjagumher....
- Wörter werden mit anderen Wörter mit ähnlicher Silhoutte ausgetauscht: und -> erst
- Auslassungen: wieder -> wir
- Einfügungen: einmal -> einstmal
- Rückwärts lesen: rückwärts -> sträwckür
- Zeile verlieren und nicht wiederfinden
- Sehr anstrengend für sie (wir wollten Atlglas wegbringen und sie konnte nicht erkennen, welcher Container für "Grünglas" und welcher für "Weißglas" war)
- Längen und Kürzen: Sonne -> sone; Tanne -> tane
- Ähnliche Laute werden verwechselt: Karte -> garte
Zusätzlich hat sie mit einem sehr starken Zwinkern und Blinzeln begonnen. In einer Zeit in der wir kein Training gemacht haben.
Auf meine Liste schreibe ich praktisch jeden Tag etwas Neues.
Letztes Mal hat sie mit dem Training aufgehört. Ich kann es auch im Nachhinein verstehen, Wir haben angefangen mit 6000 Wörtern am Tag und uns dann hochgearbeitet auf 20.000. Was jeden Tag ca. 2 Stunden + in Anspruch genommen hat. Ganz am Anfang sogar noch länger, da sie nur 60 Zeichen in der Minute schnell gelesen hat. Das sind ca. 8 Wörter.
Um kurz einen Einblick in eine durchschnittliche Leseentwicklung zu geben:
Die Grafik zeigt verschiedene Geschwindigkeiten. Die meisten Kinder erreichen - nachdem sie die Buchstaben gelernt haben - zwischen 7 und 8 Jahren innerhalb von ein paar Woche eine Lesegeschwindigkeit, mit der sie Texte gut verstehen können. Also ab 50 Wörter in der Minute (das ist langsam aber einigermaßen flüssig, ca. jede Sekunde kommt ein Wort).
Wie ich in einem früheren Post geschrieben hatte, haben wir dann das Lesetraining abgebrochen und ich habe Mahjongg und solche Spiele geholt, die sie gerne gespielt hat.
Mittlerweile war sie wieder bereit (von sich aus) eine weitere Runde "Powertraining" zu machen - wir wollen auf die 50 Wörter in der Minute.
Sie hat also jeden Tag einen Text (ca. 7-9000 Wörter), 10 Minuten LRS-Leseliste, und dann noch eine Zeile (+so viel sie will) Wörter mit ihren Problembuchstaben schreiben.
Dies haben wir nun eine Woche gemacht und sie hat sich von 160-170 Zeichen pro Minute auf 210-220 Zeichen pro Minute gesteigert. Dennoch mit den oben genannten Fehlern, die zwar besser wurden, aber stetig blieben.
Ich bin nun unsicher, welchen Schritt ich als nächstes tun soll. Nami war weiterhin bereit das Powertraining zu machen - und will es sogar machen (!). Dennoch tut mir es richtig leid mit anzusehen, wie sie sich abmühen muss - für eine Sache, die den Homeschool- und Unschool-Kindern um sie herum einfach so zufliegt. So hat ihre ein Jahr jüngere Freundin an einem Tag 3 One-Piece Mangas durchgelesen und Sanji (der ja diese Woche 6 wird) liest auch schon mit 40 Zeichen pro Minute (aber ohne Anstrengung und mit viel Freude) - und dies nach sporadischem bis gar keinem Üben.
Sie hat im Powertraining diese Woche sogar oft über ihr Soll gearbeitet - zwei Minuten extra in der LRS-Liste und 5 Zeilen extra geschrieben.
Meine Ideen sind:
- Wir machen wieder eine Pause und warten ein bisschen, bis sie reift.
- Wir machen ein Silbentraining (also sie muss nur Silben finden)
- Wir lassen ihre Augen abklären, oder andere physiologische Ursachen (was man wahrscheinlich auf jeden Fall machen sollte)
- Oder wir machen das Training wie gehabt jetzt erst mal noch 2 Wochen weiter.
- Ich rufe eine professionelle Stelle an, die sich mit diesem Thema Vollzeit beschäftigt.
Auf jeden Fall muss ich mich noch viel tiefer in die Thematik Legasthenie einlesen - von der ich dachte sie sei einfach ein Hirngespinst.
Ich möchte aber noch abschließende Gedanken in diesem Post bringen:
1.) Ich glaube mittlerweile, dass die Betroffenen sehr viel durchmachen müssen - insbesondere in Schulsettings, wo nicht jeder so wohlwollend über die Schwächen von anderen ist. Und ich habe manchmal selbst meinen Kopf auf die Tischplatte fallen lassen, weil ich nicht glauben konnte, dass man ein Wort wie "ein" nicht erkennen kann, nachdem man "herausgehen" problemlos gelesen hat. Oder allein diese langsame Geschwindigkeit nicht ertragen konnte (über Stunden).
2.) Ich bin froh, dass ich so gut darauf eingehen kann - also ich bin mitten drinnen. Wie viele andere Fälle es gibt, in denen dadurch der ganze Bildungslauf gestört und teilweise zerstört wird ist einem nicht bewusst, bevor man gezwungen wird, dieses Thema nicht als Modekrankheit abzutun.
3.) Wenn man das Gefühl bekommt, dass ein Kind sehr "stur" ist, oder sich "weigert" lesen zu lernen, oder "faul" ist und sich drücken will, dann sollte man - bevor man solche Sachen äußert auf jeden Fall sich über dieses Symptom schlau machen. Die meisten Kinder (in freien Umgebungen) lernen sehr schnell zu lesen.
4.) Ein Unschooler über ihre Dyslexie:
5.) Ein Film über Dyslexie:
6.) Ich bin froh, dass wir einen so personalisierten Bildungsansatz gehen. Nami konnte viele Talente entdecken und für sie ist es so, als ob sie etwas bestimmtes nicht so gut kann, aber dafür andere Sachen sehr gut kann. Z.B. ein Musikstück nach Gehör nachspielen, Nähen, Sport, etc. Es konnte nicht an ihr Selbstbewußtsein und nicht an ihre Selbstwahrnehmung. Sie hält sich nicht für dumm, sondern weiß, dass sie Stärken hat und sehr intelligent und geschickt ist. Und vielleicht überwindet sie mit diesem Selbstbewußtsein diese eine Schwäche auch.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen